„Fotoausstellung zeigt Kontrast zwischen Schönheit und Zerstörung”

Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Kunst unter der Kuppel“ zeigt die Gesamtschule der Stadt Brühl noch bis zum 29. Juni die Ausstellung des Fotografie-Projektes „Revier“. In einem Projektkurs haben Jugendliche der 10. und 11. Jahrgangsstufe vielseitige fotografische Serien in dem verlassenen Ort Kerpen-Manheim entwickelt, der ab diesem Jahr abgerissen wird, um endgültig dem Tagebau Hambach zu weichen. Die Idee zu dem Projekt stammt von Daniel Artner, dem Kunstlehrer der Gesamtschule. Umgesetzt wurde sie mit dem Fotografen Matthias Jung. Wir haben uns mit den beiden sowie mit einigen Schülerinnen und Schülern unterhalten.

Daniel Artner unterrichtet seit acht Jahren das Fach Kunst an der Gesamtschule der Stadt Brühl. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, nach spannenden Themen in der Region Ausschau zu halten, die sie geprägt haben. So hat er in der Vergangenheit ein Projekt über barocke Mode oder eine Porträtreihe ehrenamtlich tätiger Menschen realisiert. „Es geht mir um Projekte, die ich im normalen Unterricht nicht unterbringen kann“, erzählt der 39-Jährige.
Als er bei der Suche nach neuen Themen den Tagebau Hambach entdeckte, war die Idee schnell geboren, daraus ein weiteres spannendes Projekt zu entwickeln. Daniel Artner stieß bei seinen Recherchen dann auf den Fotografen Matthias Jung, der sich in seinen Bildern schon lange mit dem Thema verschwindender Orte auseinander setzte. „Ich wollte das Interesse der Schülerinnen und Schüler dafür wecken, dass ganz in ihrer Nähe Ortschaften einfach verschwinden“, sagt Daniel Artner.

„Der Titel ,Revier' beschreibt zwei wichtige Themenbereiche des Projektes“, berichtet der Kunstlehrer weiter. „Zum einen steht der Begriff für angestammte Heimat, zum anderen für ein größeres Gebiet, in dem Bergbau betrieben wird. Ein Themenfeld, das nur wenigen Jugendlichen präsent ist, das aber unsere Region und deren Menschen prägt. Der Schwerpunkt der Arbeit lag auf der persönlichen Aneignung des Ortes Manheim, so dass jeder nach der ersten Besichtigung eigene Motive zur Auseinandersetzung fand. Dabei geht es beispielsweise um Natur, die sich ihren Platz zurückerobert, um den Kontrast zwischen der natürlichen Schönheit und der Zerstörung des Ortes, um Graffitis und andere Bemalungen, die mit ihren Farben der traurigen Stimmung entgegenstehen oder ganz einfach um die spürbare Leere.“

Manheim ist momentan mehr oder weniger eine Geisterstadt. Die meisten Bewoh-ner sind weggezogen. Sie wurden – wenn man so will – vertrieben. Heute sind aber ausgerechnet dort teilweise Flüchtlinge untergebracht. Flüchtlinge folgen auf Vertriebene – eine paradoxe Situation. Und nicht die einzige. Doch zurück zur Entstehung des Projektes. Daniel Artner war auf der Suche nach einem geeigneten Künstler mit dem Fotografen Matthias Jung fündig geworden. Der mehrfach preisgekrönte Fotojournalist sollte mit den Schülerinnen und Schülern vor Ort ausloten, welche Ideen sich in Manheim fotografisch umsetzen ließen. Wie bei größeren Projekten dieser Art üblich, musste erst noch die eine oder andere bürokratische Hürde genommen werden, bevor es losgehen konnte. Das Landesprogramm „Kultur und Schule“ und der Förderverein der Gesamtschule unterstützten das Projekt dann finanziell.

„Eine völlig neue Erfahrung”
Auch für Matthias Jung stellte das Projekt eine neue Herausforderung dar, hatte der Fotograf doch zuvor noch nicht mit größeren Schülergruppen gearbeitet. „Das war eine schöne Abwechslung vom normalen Fotografenberuf für mich und eine völlig neue Erfahrung“, sagt der 50 Jahre alte Fotograf, der in Erftstadt lebt. „Ich werde dieses Projekt nun auch mit anderen Schulen fortsetzen.“ Entscheidend war für ihn, dass die Motivation der Schüler hoch war. „Sie war wichtiger als die fotografischen Fähigkeiten.“

Nacheinander ging es dann mit zwei Schülergruppen – einer 15-köpfigen gemischten und einer achtköpfoigen reinen Mädchengruppe – auf Entdeckungstour. Mit der Bahn fuhren der Fotograf und die Schüler nach Kerpen, mit dem mitgenommenen Fahrrad dann weiter in den Stadtteil Manheim. Dort erkundeten die Gruppen dann die Gegebenheiten vor Ort. Sie trafen auch den Vorsitzenden von BUND, der einen Vortrag hielt. Schnell wurde allen Schülern klar, wie brisant das Thema war, als sie bei ihren Exkursionen durch das Dorf und die nähere Umgebung immer wieder von Polizisten oder Mitarbeitern des Wachschutzes angehalten wurden, sich ausweisen und erklären mussten, was der Zweck ihres Besuchs in Manheim war.

Beim ersten Besuch sammelten die Schülerinnen und Schüler Ideen, am zweiten Tag wurde in der Schule darüber diskutiert. Und bei einem weiteren Besuch ging es an die fotografische Umsetzung der Ideen. Dabei entstanden sehr viele tolle Bilder aus ganz unterschiedlichen Ansätzen und Perspektiven. Linn Schmirl, Schülerin der Jahrgangsstufe 11, wählte das Thema Spiegelungen im Wasser. „Ich fand das Konzept spannend“, sagt die 17-Jährige. „Wir haben kaum Menschen getroffen, aber noch gepflegte Gärten vorgefunden. Der Kontrast zwischen liebenswerten Details und der Zerstörung war faszinierend.“

„Die Zerstörung ist beeindruckend”
Leonard Glock aus der Jahrgangsstufe 10 interessierte sich vor allem für Zentralperspektiven. Seine Bilder zeigen leere Straßen, die sich im Unendlichen verlieren, darunter auch die verrottende ehemalige Autobahn. „Ich habe mir von meinem Bruder eine Kamera ausgeliehen“, erzählt der 16-Jährige. „Es ist spannend zu sehen, wie ein ganzer Ort abgerissen wird, um etwas aus der Erde zu heben.“ Maria Pfanz hat mit einer Freundin zusammen eine Bildserie kreiert, in der gezeigt wird, wie Menschen vertrieben werden und ihr Haus nicht behalten dürfen. „Es war alles total ausgestorben, die Zerstörung hat mich beeindruckt“, meint die 15-Jährige der Jahrgangsstufe 10.

Die ganze Atmosphäre in und um Manheim empfanden die Schülerinnen und Schüler als eher bedrückend. „Überall war Polizei, die Polizisten selbst waren sehr angespannt“, erinnert sich auch Matthias Jung. Seit sechs Jahren begleitet er die Entwicklung in Hambach mit der Kamera, für ihn ist es ein Langzeitprojekt. Die Leute dort kennen ihn schon und halten ihn mit ihren Berichten über die Schicksale der betroffenen Menschen auf dem Laufenden. „Die Verträge stammen aus den siebziger Jahren als die Energiepolitik sich noch an anderen internationalen Rahmenbedingungen orientierte. Heute ist die Situation erschreckend“, findet der Fotograf. Dass der Profit eines einzelnen Unternehmens zur massenhaften Zerstörung der Lebensbereiche so vieler Menschen führt, hat auch die Schüler sehr nachdenklich gestimmt.

Sehenswerte Fotoausstellung
Daniel Artner freut sich, dass seine Idee so toll umgesetzt wurde und nun zu einer sehenswerten Ausstellung geführt hat. Der gebürtige Berliner unterrichtet seit 2009 an der Gesamtschule der Stadt Brühl. Ihn zog es damals eher gezwungenermaßen ins Rheinland. Aber hier winkte ihm eine Stelle, in Berlin war die Perspektive nicht gut. „Ich wäre damals gerne freiwillig gegangen“, sagt der mit seiner Familie in Bonn lebende Pädagoge. Inzwischen hat er sich aber bestens eingelebt. Er liebt die hügeligen Landschaften in der Umgebung, die rheinischen Traditionen und die hiesige vielfältige Kunstszene.
Die Ausstellung ist bis zum 29. Juni wochentags von 13 bis 17 Uhr in der Gesamtschule der Stadt Brühl, Otto-Wels-Straße 1, zu sehen. Weitere Informationen gibt es unter: www.gesamtschuel-bruehl.de. Ab dem 12. Juli wird sie auch im Referat für kulturelle Angelegenheiten des Rhein-Erft-Kreises ausgestellt werden.                   

Tobias Gonscherowski