Jahrgang 2006
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1845 wurde in Bonn das von Ernst Julius Hähnel (1811-1891) entworfene Beethoven-Denkmal eingeweiht. Das musikalische Werk des gebürtigen Bonner Ludwig van Beethoven (1770-1827) gehörte zu den Konstanten im Kulturleben der Stadt.
 
Über eine Aufführung des ,Fidelio' im Stadttheater wurde 1913 in einer Besprechung vermerkt: "Die Oper, die wir hier in Bonn jährlich fast zu hören Gelegenheit haben, erfreute sich auch gestern wieder eines lebhaften Beifalls." Und eine kurze Ankündigung im ,Volksmund', die ebenfalls 1913 erschien, informierte mit ehrfurchtsvollem Ton vor dem Genie über eine Neuerscheinung: "Das neueste Heft der populären Musik-Zeitschrift ,Musik für Alle' bringt das einzige Bühnenwerk, das uns Beethoven hinterlassen hat, den ,Fidelio'. Kein anderer konnte den Stoff, der dieser Oper zu Grunde liegt, keuscher und reiner erfassen, als Beethoven, der deutscheste aller Tondichter. Er hat uns in diesem Werke das Hohelied der Gattenliebe geschaffen. - Das vorliegende Heft gibt die schönsten und melodienreichs- ten Szenen in leicht spielbarem Klaviertext wieder."
 
Der Sockel des Bonner Standbildes von Beethoven zeigt auf vier bronzenen Hochreliefs weibliche Figuren. Während auf der Vorderseite die auf einer Sphinx sitzende und Leier spielende Figur die Phantasie darstellt und die schwebende, von vier Genien umgebene Frauengestalt auf der Rückseite die Symphonie verkörpert, personifizieren die beiden weiblichen Figuren auf den Seitenflächen die dramatische sowie die geistliche Musik. Das Sockelrelief mit der Orgel spielenden Cäcilie wurde ein Jahr nach der Einweihung des Denkmals in der französischen Wochenschrift ,Le magasin pittoresque' reproduziert. Ab Ende der zwanziger Jahre verwendete Max Ernst Holzstiche aus dieser populärwissenschaftlichen Zeitschrift als Materialfundus für seine Collagenromane, ob er jedoch diese Abbildung bereits 1923 kannte und als Vorlage für eine gemalte Collage nutzte, ist nicht zu entscheiden. Das Original auf dem Bonner Münsterplatz dürfte ihm jedoch aus seiner Studienzeit bekannt gewesen sein. Dr. Ludger Derenthal, Mitglied im Beirat der Max Ernst Gesellschaft, wies bereits vor knapp 20 Jahren auf die Motivverwandtschaft zwischen Sockelrelief und Gemälde hin.
 
"Die heilige Cäcilie"
 
1923, ein Jahrzehnt nach dem Studium und in der Inkubationsphase des Surrealismus, variierte Max Ernst dieses Relief des Beethoven-Denkmals. Nachdem er 1922 Köln verlassen hatte, entstand 1923 in Paris sein großformatiges Ölgemälde "Die heilige Cäcilie (Das unsichtbare Klavier)". Fast vollständig umgibt hier Mauerwerk eine Frau, von der nur der Kopf, das Profil des Körpers, die Arme und ein Fuß zu sehen sind. Die Frau spielt an einer unsichtbaren Klaviatur, und durch die Geste ihrer Hände wird ein abgebrochenes Wandstück, das rechts neben ihr leicht nach hinten versetzt zu sehen ist, in eine Orgel uminterpretiert. Dargestellt ist die Märtyrerin aus frühchristlicher Zeit, die seit dem 15. Jahrhundert als Schutzpatronin der Musik, besonders der religiösen Musik gilt. Der französische Name ,Cécile' der Heiligen kann wortspielerisch mit dem Begriff ,cécité' (Blindheit) assoziiert werden, eine Bedeutung, die vermutlich mit zur Wahl der Heiligen als Bildsujet beigetragen hat. Der gefangenen und physisch blinden Figur stellt Max Ernst die schöpferische Tätigkeit, die innere Imagination und den Blick der Phantasie gegenüber. Die nach rechts gerichtete Profilansicht und die geschlossenen Augen auf dem Gemälde lassen sich mit der Darstellung des Reliefs vergleichen, wobei auch das Gesicht der Bonner Cäcilie teilweise verdeckt ist. Durch den collagenartigen, kombinatorischen Arbeitsprozess, der unterschiedliche Vorbilder fragmentiert und neu zusammensetzt, greift Max Ernst indirekt und subversiv den Denkmalskult an, um die Bruchstücke seines Bildersturms in den Dienst des Surrealismus zu stellen.
 

 

 

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