Nachdem Max Ernst am 28. Mai 1919 durch die Ausstellung der Künstlergemeinschaft „Der Strom” im Kölnischen Kunstverein geführt hatte, reiste er mit seiner Frau und Dr. Luise Straus-Ernst zum Bergsteigen an den Königsee. Dr. Luise Straus-Ernst leitete damals als wissenschaftliche Ange- stellte das Wallraf-Richartz-Museum, dessen Direktor Dr. Joseph Poppelreuter im Januar gestorben war.

Den Urlaub verbrachten sie zusammen mit Alfred Ferdinand Gruenwald, der sich während der Ende des Jahres beginnenden Dada-Aktivitäten „Baargeld” nannte, ein begeisterter Bergsteiger war und acht Jahre später, im August 1927, im Montblancgebiet der französischen Alpen tödlich verunglückte. Ihre Rückfahrt aus dem Berchtesgadener Land nach Köln unterbrachen sie in München. Für einige Tage im September stand sowohl die aktuelle als auch die alte Kunst auf dem Programm. Max Ernst besuchte den zwölf Jahre älteren Künstler Paul Klee und nahm für eine geplante, aber nicht realisierte Ausstellung mehrere Aquarelle und Zeichnungen mit, die 2006 für Dr. Achim Sommer Ausgangspunkt seiner ersten Ausstellung im Max Ernst Museum waren. Und bis Ende September wurde in der Alten Pinakothek der Isenheimer Altar von Grünewald gezeigt, worauf der Kunsthistoriker Dr. Ludger Derenthal, Mitglied im Beirat der Max Ernst Gesellschaft, 2002 hingewiesen hatte.

Hans-Ulrich Ernst, genannt Jimmy und neun Monate nach dem Sommerurlaub sowie der Münchner Stippvisite am 24. Juni 1920 in Köln geboren, schrieb in seinen Erinnerungen über spätere Reisen mit seiner Mutter: „Lou nahm mich mehrmals mit zum Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Colmar und las mir vor, was Dichter und Schriftsteller über dieses Meisterwerk geschrieben hatten.“

Max Ernst schätzte Grünewald

Und auch Max Ernst schätzte Zeit seines Lebens den Maler Mathis Neithart Gothart, genannt Grünewald. Bereits 1913 hatte er in seiner „Kreuzigung”, die heute im Museum Ludwig hängt, die expressive Gestik der Hände vom Isenheimer Altar übernommen, sowohl die äußersten Schmerz ausdrückenden Finger des gekreuzigten Christus als auch die im flehenden Gebet ausgestreckten Hände der knienden Maria Magdalena. Im August 1917 veröffentlichte Max Ernst in der Zeitschrift „Der Sturm” seinen programmatischen Text „Vom Werden der Farbe”. Im expressionistischen Sprachstil formulierte er hier eine Genesis der Farben, in deren Verlauf er auch die Kreuzigungs- sowie die Auferstehungs-Tafel des Isenheimer Altars anspielt und assoziieren lässt: „Ein furchtbarer Farbblitz entfuhr dem Grabe Jesu Christi. Geist Grünewalds war auferstanden, wetterleuchtet Mittelalter letzten großen Tod.“

Ein Vierteljahrhundert später nahm Max Ernst den Künstler in die typographisch gestaltete Ehrentafel seiner Lieblingsdichter und -maler auf, die während des Zweiten Weltkriegs im April 1942 unter der Überschrift „Max Ernst’s Favorite Poets [and] Painters of the Past” in der Max Ernst-Sondernummer der amerikanischen Zeitschrift „View” abgedruckt wurde. Und Anfang 1970, anlässlich seiner von Uwe M. Schneede realisierten Retrospektive im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, äußerte sich der fast 80-jährige Künstler im Gespräch mit dem Spiegel-Redakteur Jürgen Hohmeyer und mit spöttischen Seitenhieb auf die damals moderne Kunst: „In der deutschen Malerei gab es natürlich auch Genies: Grünewald und Altdorfer. Aber in der neuen deutschen Malerei finde ich kein Genie, es tut mir leid.“