Von Ende April bis Ende Mai 1919 zeigten die Kölner Künstler, die sich in der Gruppe „Der Strom” zusammengeschlossen hatten, erstmals ihre Werke, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren. Am 24. April 1919 brachten der „Kölner Stadt-Anzeiger” und die „Kölnische Volkszeitung” eine entsprechende Pressemitteilung: „In den Räumen des Kölnischen Kunstvereins veranstaltet die Kölner Künstlergemeinschaft ,Der Strom’ ihre erste Ausstellung. Es werden Werke von Hans Bolz †, Otto Freundlich, Max Ernst, Hans Hansen und Joseph Kölschbach gezeigt. – Die ,Gesellschaft der Künste’ wird im Rahmen der Ausstellung Vorträge zur neuen Kunst veranstalten.“ Ergänzend wurden dann auch jeweils mittwochs um 16 Uhr kostenfreie Führungen angeboten: am 7. und 14. Mai durch den Juristen und Sammler Josef Haubrich und am 28. Mai durch Max Ernst.

Die Kunstkritik war gespalten. Zum Teil reagierte sie erläuternd und vermittelnd, veröffentlichte aber auch harsche Töne der Ablehnung. Der Kritiker des „Kölner Stadt-Anzeiger” schrieb am 1. Mai 1919 von „einem intellektuellen Strohfeuer“ und bescheinigte den Werken: „… es mangelt ihnen an Überzeugungsgewalt.“ Das Werk von Max Ernst konnten die meisten Berichterstatter nicht mit dem Expressionismus in Einklang bringen. So urteilte Fritz Coerper am 9. Mai 1919 in der „Westdeutschen Wochenschrift”: „Jünger noch sind unsere beiden Maler. Beide voll Talent und Zukunft, wenn sie wollen. Kölschbach reifer, Ernst eigenwilliger. Wer des letzteren frühere Malweise kennt, ganz in der ,russischen’ Manier wirrer Farben- und Flächentürmung, der wird einen möglichen Fortschritt in der oben angedeuteten Richtung nicht ohne weiteres ablehnen. In ihm leben Bilder und Gestalten, und er wirft sie von sich auf die Leinwand, bald scheinbar unwillkürlich eruptiv, bald wieder mit kühlster Berechnung und Überlegung irgendeines literarischen Witzes, dessen Sinn nachzudenken jedoch sein persönliches Ergötzen bleiben muß. Expressionistisch ist in seinem, oft kindlich anmutenden Tun der Wille zur Beseelung durch seine eigensten Geschöpfe. Sonst hat seine Malerei mit dem Expressionismus noch nichts oder nichts mehr – wer weiß das – zu tun. Man muß den Künstler einstweilen gewähren lassen und abwarten, ob er sich selbst und zugleich wieder den Anschluß ans Ganze der Entwicklung findet.“

Ausstellung verrissen

Zwei Tage zuvor hatte die „Rheinische Volkswacht” die Ausstellung grundlegend verrissen: „Die Neuesten geben aber schier unlösliche Rätsel auf; sie verzichten nicht nur auf irgendwelche realistische, zusammenhängende Wiedergabe ihres Gegenstandes, sondern auch auf jede künstlerische Technik. Ihre Malerei gemahnt an die der Kinder, die weder von irgendwelcher Zeichenkunst, noch – bei Wiedergabe von Lebewesen – von Anatomie einen Dunst haben.“ Und über Max Ernst schrieb der Kritiker mit ironischen Unterton: „In einem Bühnenwerk läßt Frank Wedekind einen Mann auftreten, der seinen Kopf unter dem Arm trägt. So weit geht nun Max Ernst, der Entwickeltsten einer, die hier vorgeführt werden, zwar nicht; was er sich aber dabei gedacht hat, als er in einem Bilde ,Vogelverkäufer’ einen Mann gemalt hat, auf dessen Hals der Kopf umgekehrt sitzt, also das Kinn nach oben, wird man schwerlich ergründen können. Ein Bild, das er in dem Verzeichnis ,Interieur und Landschaft’ genannt hat, bewertete ein Besucher als ein eingestürztes Haus. Zu solchen Mißverständnissen führt die neue Kunst, weil die Menschen so unvorsichtig sind, mit ihren zurechtgemachten Begriffen von Kunst in der Tasche solche Ausstellungen zu besuchen!“

Dr. Jürgen Pech