Nach der Kriegstrauung am 7. Oktober 1918 führte die Hochzeitsreise Luise Straus und Max Ernst nach Berlin. Beide kannten die Stadt, die noch kurze Zeit Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches war. Luise Straus hatte hier ein Jahr lang von Ostern 1915 bis Ostern 1916 studiert und im Januar 1916 fand hier die erste Einzelausstellung von Max Ernst in der Galerie „Der Sturm” von Herwarth Walden statt.

In ihren autobiographischen Aufzeichnungen „Nomadengut” schrieb die promovierte Kunsthistorikerin rückblickend: „Zwei Tage später reisten wir dann doch ab und konnten uns in Berlin zunächst nicht an unsern Zustand gewöhnen. Nach vier Jahren Illegitimität fuhren wir jedes Mal zusammen, wenn wir von Bekannten ,gesehen’ wurden, was nun doch wirklich nichts mehr schadete.“ Am 14. Oktober war das junge Ehepaar bei dem Galeristen Herwarth Walden zu Besuch und trug sich in dessen Gästebuch ein. Nach Köln zurückgekehrt mieteten beide im Kaiser-Wilhelm-Ring 14 eine Wohnung, über die Luise Straus berichtete: „Ende November als der Krieg aus war, zogen wir in eine kleine, altmodische Wohnung im Obergeschoss eines viel zu vornehmen Hauses an der Ringstraße in Köln. Die ersten Monate dieser Ehe vergingen wie im Traum, eigentlich kein schöner, verwirrt, unruhig, schmerzlich. … Die politischen Umwälzungen… die Heimkehr aller Freunde… vor allem Krankheit und Tod meiner Mutter… Das waren Ereignisse, die kein ruhiges Eingewöhnen in ein neues Leben erlaubten. Ich lebte zwischen dem Krankenzimmer meiner Mutter und unseren fast ständig mit plaudernden und diskutierenden Männern gefüllten beiden Wohnräumen. Die günstige Lage unsere Wohnung, vermutlich auch unsere Personen, hatten uns ganz von selbst zum Mittelpunkt dieses Kreises junger Künstler und Kunstfreunde gemacht, die nun in endlosen Gesprächen eine neue Welt aufzubauen dachten, dabei zahllose Cigaretten rauchten und unentwegt Tee tranken. Ein Glück, dass wir 24 Tassen hatten. Sie waren alle ständig ,in Betrieb’. Wir gingen viel aus, standen an der Spitze eines jener Bünde, die damals wie Pilze hervorschossen, mit Vorträgen, Konzerten, Versammlungen, vor allem aber vielen großen Ideen und kleinen Skandalen.“

Eine Fotografie aus dieser Zeit zeigt Max Ernst – angespannt und selbstbewusst – mit Pinsel und Palette, den Insignien des Künstlers, stehend von einem Kanonenofen und zwischen einer bemalten Kommode und einem Bücherschrank, dessen unteres Holzpaneel er ebenfalls farbig gestaltet hatte.

 

Kunst sollte Bürger erschrecken

Die Kölner Künstlerin Marta Hegemann, die während des Ersten Weltkrieges am 27. März 1918 den Maler Anton Räderscheidt geheiratet hatte, lieferte knapp fünf Jahrzehnte später in ihren Erinnerungen eine weitere Beschreibung der Wohnung und der Atmosphäre:

„Noch wohnte Max Ernst auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring mit Lou und Jimmy. Er war für uns so etwas wie der große Bruder. Er genoß Ansehen. Meist hatte er ein leichtes, etwas belustigtes Lächeln. Als wir ihn zuerst besuchten, war ich enttäuscht über die Behausung. Primitive, bunt geleimte Figurinen schon im Treppenhaus. Es roch nach Leim und Leimfarbe. Das Atelier, ein Raum etwa 4 x 4 m, Fenster zum Ring, Arbeitstisch davor. Links großer bemalter Holzschrank. Max Ernst erwartete eine Abordnung der Gewerkschaft. Diese Leute waren konsterniert vom Anblick der Holzgötzen, und ich begriff nicht die Selbstsicherheit, mit welcher der Maler über die Abgründe hinweg mit ihnen ein ernstes Männergespräch führen konnte. Daß diese Arbeiter so gläubig waren. Weil diese Kunst den Bürger erschrecken sollte. Und wie sie das tat, das sah ich im Brauhaus Winter. Nebenan ging es in ein kleines altmodisches Mahagonie Wohnzimmer. Auf dem Sofa saß Lou und säugte Jimmy.“

Dr. Jürgen Pech