Jahrgang 2010
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„Es wird viel kritisiert, aber nichts kreiert”

Seit Monaten diskutiert Deutschland kontrovers über das Thema Integration. Wir haben drei kompetente Brühler Persönlichkeiten an einen Tisch gesetzt und mit ihnen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Ansichten diskutiert.

Mit dabei waren Peter Boos, der Vorsitzende der Brühler Initiative für Völkerverständigung, die auch in diesem Jahr wieder am 9. November anlässlich der Reichspogromnacht im Jahre 1938 unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rassismus, Terror und Gewalt“ den Schweigegang durch die Brühler Innenstadt durchführte sowie Nilgün Özcelik, die im Integrationsausschuss der Stadt Brühl vertreten ist, und ihre Stellverteterin Vida Rashid.


BBB: Bevor wir in die Diskussion einsteigen wollen, stellen Sie sich doch einmal bitte unseren Lesern vor.

Nilgün Özcelik: Ich bin in der zweiten Generation im Alter von sechs Jahren nach Deutschland gekommen. Ich wurde direkt eingeschult und hatte eine schwierige Kindheit. Ich habe dann an der Gesamtschule in Gelsenkirchen mein Abitur gemacht und an der Dortmunder Universität Volkswirtschaftslehre studiert. Ich bin für einen großen Versicherungskonzern tätig, mit einem Türken verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Ich wohne seit 12 Jahren in Brühl. Bis vor zwei Jahren habe ich als Vollzeitkraft gearbeitet, bin vor zwei Jahren in Teilzeit gegangen und habe jetzt Zeit, um mich politisch zu engagieren.

Vida Rashid: Ich bin 34 Jahre alt und lebe seit 24 Jahren sehr gerne hier. Ich bin zusammen mit meinen Eltern und fünf Geschwistern 1986 während des Krieges aus Teheran nach Hürth gekommen. Ich habe mich als Kind auch schwer getan, die deutsche Sprache zu lernen. Aber ich habe dann fleißig Vokabeln gelernt und bekam als kleinen Anreiz kleine Geschenke von meinen Eltern. Ich habe dann einen guten Schulabschluss geschafft und eine Ausbildung zur Justizangestellten in Köln absolviert. Ich bin mit meinem persischen Ehemann verheiratet und habe drei Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren. Seit über sieben Jahren bin ich in unserem eigenen Restaurant tätig. In die Politik bin ich durch meine Dolmetschertätigkeit reingerutscht. Da habe ich oft die Probleme direkt mitbekommen und war Ansprechpartnerin in vielen Fragen.


BBB: Wie haben Sie die durch das Buch von Thilo Sarrazin ausgelöste Diskussion verfolgt?

Özcelik: Die Absicht des Buches war Provokation. Das hat er damit geschafft und zudem viel Geld für seinen Ruhestand verdient.


BBB: Fühlen Sie sich angesprochen?

Rashid: Nein. Ich fühle mich total integriert. Mich stört, dass immer alle Migranten in einen Topf geworfen werden. Mich stört der latente Fremdenhass. Und man löst keine Probleme, in dem man z.B. das Kopftuch oder die Burka verbietet. Wenn es einmal so weit kommen sollte, wird es noch schlimmer, weil sich die Frauen dann gar nicht mehr auf die Straße trauen werden. Ich bin auch gegen überdimensionierte Moscheen. Aber ich bin für Glaubensfreiheit. Als Kriegsflüchtling bin ich froh, in Freiheit aufgewachsen zu sein.

Özcelik: Die Diskussion, die Sarrazin oder auch ein Herr Seehofer auslöst, ist nicht förderlich, sondern traurig. Ich fühle mich persönlich diskriminiert. Nicht alle Moslems können kein Deutsch und sind Sozialhilfeempfänger.


BBB: Inwieweit engagieren Sie sich kommunalpolitisch?

Özcelik: Wir sind Integrationsausschuss. Dieser besteht seit Februar. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, verschiedene Anträge eingereicht. Wir haben z.B. beantragt, einen eigenen Raum für die Ausschussmitglieder zu bekommen, in dem sie sich treffen können. Wir würden gerne Diskussionen veranstalten, eine Sprechstunde anbieten. Aber wir bekommen Fördergelder erst dann, wenn wir genau dokumentieren, wofür wir das Geld brauchen. Wir haben auch den Antrag gestellt, dass es in Zukunft eine kleine Einbürgerungsfeier mit Urkundenübergabe für die Mitbürger geben soll, die eingebürgert wurden und ihren deutschen Pass erhalten haben. In Zukunft wollen wir als Liste Brühl International (LBI) kommunalpolitisch einen eigenen Weg gehen und bei den nächsten Wahlen für den Integrationsrat antreten. In der LBI sind die griechische Liste mit Herrn Miron, Türkbirligi mit sechs Personen sowie drei Ratsmitglieder vertreten.


BBB: Was unternimmt die Stadt Brühl in Sachen Integration?

Özcelik: Sie gibt Gutachten in Auftrag. Die gesamte Arbeit wurde vom Institut iMap übernommen. Diese Agentur hat im Rahmen des „Komm-in-Projektes“ eine Analyse Brühls durchgeführt und daraus Maßnahmen für Brühl formuliert. Das Ergebnis ist, dass zu ehrenamtlicher Arbeit aufgerufen wird und nichts passiert. An den Schulen finden keine vernünftige Sprachkurse oder Nachhilfe statt. Es wird viel kritisiert, aber nichts kreiert.


BBB: Wie sind die Angebote in Brühl?

Özcelik: In Brühl sind die Angebote ziemlich schlecht. Die Anzahl der ausländischen Schüler in der Hauptschule nimmt zu. Der Hauptfaktor dafür sind die Sprachschwierigkeiten. Viele Kinder, die eigentlich auch die Real- oder Gesamtschule besuchen könnten, werden schlechter behandelt. Es wird nicht in Betracht gezogen, dass sich die Kinder noch entwickeln können. Viele Lehrer haben Vorurteile. Mein Mann ist Lehrer an einer Hauptschule in Bergheim. Der sagt, dass viele Kinder da nicht hingehören.

Rashid: Die Hauptschule in Brühl ist allerdings sehr gut. Der Schulleiter Bernd Schröter leistet sehr gute Arbeit, es gibt gute Konzepte wie das der gegenseitigen Hilfe, bei der stärkere Schüler die Schwächeren unterstützen. Das Ziel von Herrn Schröter ist, dass alle Schüler einen Abschluss bekommen und den Sprung in die Arbeitswelt schaffen. Weiter auf S. 10

BBB: Wie könnte Ihrer Ansicht nach die Situation verbessert werden?

Özcelik: Die Gesamtschule hat wieder über 200 Kinder abgelehnt. Mehr Gesamtschulen wären besser. Das funktioniert in vielen anderen Ländern, das deutsche System ist veraltet. Außerdem wäre es wichtig, dass die Kinder ganztägig betreut werden, angefangen bereits im Kindergarten. Es sollte auch an den Grundschulen ganztägig Unterricht geben, ebenso an den weiterführenden Schulen. Viele türkischen Kinder sind nur fünf Stunden in der Schule und dann wieder bei ihren Familien, wo den ganzen Tag türkisch gesprochen wird und türkisches Fernsehen läuft. Wichtig sind der soziale Hintergrund und die Bildung der Eltern. Viele Eltern wollen weiterkommen.


BBB: Aber viele verweigern sich auch der deutschen Sprache.

Rashid: Das stimmt leider. Wir appellieren an alle ausländischen Mitbürger: Lernt Deutsch, fangt damit auch lieber spät an als nie. Wir sind für Pflichtsprachkurse, wir finden es auch gut, wenn es Sanktionen gegen Leute gibt, die sich den Kursen verweigern. Das gilt auch für die, die schon seit 30 Jahren hier sind. Die Kurse werden bezahlt, es sollte unbedingt genutzt werden. Mam muss die Schwellenangst überwinden.


BBB: Die Schwellenangst entsteht sicher auch, weil viele Migranten unter sich bleiben wollen und sie in Vierteln wohnen, in denen kaum noch Deutsche leben.

Özcelik: Aber Deutschland hat sich diese „Ghettos“ selbst geschaffen. Die Stadtplaner haben Schuld, dass Ghettos entstehen. Es gibt zwei Straßen in Brühl-Vochem, bei denen die Gebausie nicht darauf geachtet hat, dass sie besser durchmischt sind. Da wird auch gar nicht mehr renoviert.

BBB: Wo sehen Sie noch Probleme?

Rashid: Wir müssen Vorurteile abschaffen. Integration sollte in den Köpfen der Menschen stattfinden. Die Medien tragen auch eine Mitschuld an den Vorurteilen. Wenn Straftaten von Ausländern begangen werden, wird das immer explizit erwähnt. Und einige Parteien nutzen das Thema, um Wahlen zu gewinnen.

Özcelik: Der Name spielt bei der Bewerbung immer noch eine große Rolle. Selbst gegen Akademiker mit fremdländischen Namen gibt es große Vorurteile. Deshalb gehen etwa 40 Prozent von ihnen wieder in ihre Heimat zurück. Und da sind viele gute dabei.

Rashid: Und die Unproduktiven bleiben in Deutschland, die Guten gehen.

Özcelik: Genau. Das Problem ist auch, dass viele Abschlüsse aus dem Ausland hier nicht anerkannt werden. Es gibt genug Fachkräfte. Aber es passiert oft, dass Akademiker hier als Taxifahrer arbeiten.

Boos: Vorurteile hat es schon immer gegeben. Als Kind sollte ich früher nicht mit evangelischen Kindern spielen. Eine gute Sache ist die Initiative „Christen treffen Muslime“, die von Dieter Högner ins Leben gerufen wurde. Das Wichtigste ist, dass man sich gegenseitig mit Respekt begegnet. Das ist leider oft auf beiden Seiten nicht der Fall.


BBB: Wie bewerten Sie den Austausch der Migranten aus verschiedenen Ländern untereinander?

Özcelik: Das Angebot in Brühl ist ausbaufähig. Wir vermissen spezielle Angebote für Frauen. Auch die meisten Kulturvereine kochen ihr eigenes Süppchen. Es muss mehr miteinander gemacht werden.

Rashid: Die Griechen sind mehr akzeptiert. Sie sind keine Moslems und Mitglied in der EU.

Boos: Nach vielen Jahren wurde das Fest „Vochem ist Kult“ neu organisiert. Jetzt ist daraus eine kommerzielle Veranstaltung geworden. Mein Eindruck ist, dass die Situation schlechter wird.


BBB: Werden Fußballer wie Mesut Özil als Vorbild akzeptiert?

Rashid: Es kommt etwas in die Gänge. Leute, die etwas erreichen, können sicher als Vorbilder dienen. Ein Fußballer wie Mesut Özil hat mehr geschafft, die Beziehungen zu verbessern, als viele andere. Aber es gibt auch viele erfolgreiche Selbständige.

Özcelik: Man muss erfolgreich integrierte Personen heranziehen, um Barrieren abzubauen. An der Hauptschule meines Mannes in Bergheim gibt es fünf Lehrer mit Migrationshintergrund. Die haben einen anderen Zugang zu den Schülern. Diese Hauptschule hat einen großen Zulauf, nicht nur von Türken sondern auch z. B. von Italienern.


BBB: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Özcelik: Wir wünschen uns ein interkulturelles Begegnungszentrum. Das fehlt in Brühl. Das wäre für viele türkische Mitbürger auch eine Alternative. Sie könnten dann nicht nur in die Moschee, sondern auch im Begegnungszentrum andere Menschen treffen.


Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski

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