„Metalldetektoren gegen Baguette-Krümel“
Es ist nach der Oscar-Verleihung wahrscheinlich das renommiertes Kinoereignis auf der Welt. Wenn in Cannes die berühmten Filmfestspiele stattfinden und am Ende die begehrte „Goldene Palme“ verliehen wird, versammeln sich die Stars des internationalen Kinos an der Côte d’Azur. In diesem Jahr war auch Thorsten Kleinschmidt mit von der Partie. Der freischaffende Brühler Filmemacher, der auch Mitglied im ZOOM-Vorstand ist, war in offizieller Mission unterwegs. Er gehörte der dreiköpfigen Jury an, die im Rahmen der Reihe „Quinzaine des Réalisateurs“ den „Art Cinema Award“ zu vergeben hatte. Dieser bedeutende Preis wird vom internationalen Verband der Arthouse-Kinos (CICAE) verliehen. Er zeichnet Filme aus, denen die Betreiber von Programmkinos zutrauen, ein breites Publikum zu finden und auch kommerziell erfolgreich zu sein. Über seine Juryarbeit und persönlichen Eindrücke aus Cannes haben wir uns mit Thorsten Kleinschmidt unterhalten.

Große Filmfestspiele und Juryarbeit sind für den 28 Jahre alten Brühler nicht mehr ganz so ungewöhnlich. Auf der Berlinale in Berlin war er schon, auch auf dem Mannheimer Filmfestival. Doch Cannes war nun ganz sicher eine Nummer größer. „Cannes ist unglaublich turbulent und bunt. Hunderte Fotografen laufen hier herum und tausende aus der weltweiten Filmbranche. Überall halten teure Autos und schicke Jachten. Die Berlinale ist dagegen äußerst beschaulich“, vergleicht Thorsten Kleinschmidt.
Für zehn Tage im Mai konnte sich auch der junge Filmemacher in Cannes als Teil der großen Filmfamilie fühlen. Er war nicht (nur) zum Vergnügen in Südfrankreich, sondern musste auch arbeiten. Zusammen mit einer polnischen Festivalmacherin und einer französischen Kinobetreiberin sah sich Thorsten Kleinschmidt, den die bekannte Filmzeitschrift „Hollywoodreporter“ in einem Artikel über diese Nebenwettbewerb kurzerhand zum „Director“ (auf deutsch so viel wie Regisseur) erklärte, alle 22 Wettbewerbsfilme anschauen. „Die Jury sollte herausfinden, welchen Film wir gerne in unserem eigenen Kino zeigen und wem wir auch zutrauen würden, dass er nicht nur künstlerisch herausragend ist, sondern auch sein Publikum finden würde“, erzählt Thorsten Kleinschmidt.
Einfach war es nicht, das Programm zu bewältigen, aber Spaß gemacht hat es allemal. „Es war sehr abwechslungsreich. Fast alle Filme waren gut, einige sehr gut“, urteilt das ZOOM-Vorstandsmitglied. Am Ende fiel die Entscheidung zwischen einem englischen Sozialdrama und einer französischen Komödie. Nach einer zweistündigen Diskussion einigte sich die Jury auf „Les Garçons et Guillaume, à table!“. „Der Film lebt von seinem herrlich selbstironischen, grandiosen Hauptdarsteller, Guillaume Gallienne, der hier seine eigene Lebensgeschichte verfilmt hat. Dabei spielt er nicht nur sich selbst sondern auch seine Mutter“, berichtet Thorsten Kleinschmidt. „Gute Komödien sind selten, diese – von der Commedia dell’arte inspirierte – ist definitiv gelungen. Der Film gewann neben unserem auch den Hauptpreis der Jury des französischen Regie-Verbandes.“ Bei der Preisverleihung stand dann der Brühler auch auf der Bühne und verlas die Begründung der Jury, bevor er den Preis an den Produzenten überreichte.
Für den ausgezeichneten Film erhöhen sich nun die Chancen, einen Verleiher zu finden, der das Werk international in die Kinos bringt. Denn nur die wenigsten kleineren Produktionen schaffen es tatsächlich weltweit in die Kinosäle. Nachdem die Arbeit erledigt war, stand die große Party am Plage Quinzaine an, bei der lange mit Champagner gefeiert und schließlich auch die Bar leergetrunken wurde. Cannes ist schließlich bekannt für „legendäre Partys“, die nach jeder Premiere stattfinden.

Limousinen und Hubschrauber
In diesem Jahr war wieder besonders viel Prominenz aus Hollywood angereist. Steven Spielberg war da, Leonardo di Caprio, Nicole Kidman, Ang Lee, Christoph Waltz, Tilda Swinton, Jim Jarmusch und viele andere, dazu Größen des europäischen Kinos wie Roman Polanski oder Alain Delon. Einige von ihnen hat Thorsten Kleinschmidt aus der Ferne gesehen, wenn sie in ihren großen Limousinen verschwanden oder auf dem roten Teppich in den Kinopalast schritten.
Sehen und gesehen werden, gehört noch immer dazu. Es sind nicht nur viele internationale Stars in der 75.000-Einwohner-Stadt, die in ihren Luxuskarossen vorfahren oder im Hubschrauber eingeflogen werden, sondern auch das entsprechende Vermögen. Das zieht auch die großen und kleinen Gauner an. Juwelendiebstähle und Einbrüche häufen sich in der Zeit. Über einen verwirrten Mann, der während eines live im Fernsehen übertragenden Interviews mit Christoph Waltz mit einer Schreckschusspistole um sich schoss, wurde auch hierzulande ausführlich berichtet. Doch davon hat Thorsten Kleinschmidt zum Glück nichts mitbekommen.
Der Absolvent der Kölner Kunsthochschule für Medien hat sehr viel Zeit im Kino verbracht. Dank seiner Jury-Akkreditierung kam er nach einigem Anstehen an die begehrten Karten. Die Zeit überbrückte er dann in der Schlange stehend mit der Lektüre der Fachpresse. Die Sicherheitsvorkehrungen vor den Kinos waren hoch. „Vor jedem Kino standen ungelogen zehn Securitys, man wurde jedesmal mit einem Metalldetektor abgetastet, und ich wurde einmal ermahnt, weil ich noch ein Baguette in der Tasche hatte“, erzählt Thorsten Kleinschmidt. Damit hätte er zwar nicht viel Schaden, doch dafür Stars wie Catherine Deneuve oder Kylie Minogue, die auch zugegen waren, vollkrümeln können. Und das geht natürlich nicht. Ein Problem stellte dann ein anderes Mal die Tatsache dar, dass Thorsten Kleinschmidt nicht ganz die passende Abendgarderobe für eine Gala-Premiere mitgebracht hatte. „Ich habe dann in Cannes einige Läden abgeklappert, bis ich einen passenden Smoking gefunden hatte“, lacht er.
Rund 40 Filme hat er sich angeguckt, nur drei oder vier Mal hat er das Kino vorzeitig verlassen, weil ihm der Film nicht gefallen hat. Ihm gelingt es, sich auf die Filme wie ganz normale Besucher einzulassen und sein Fachwissen auszublenden. Jedenfalls so lange der Film gut ist. „Dann gehe ich emotional voll mit und tauche ein in die Geschichte. Bei einem guten Film tritt alles andere in den Hintergrund“, sagt Thorsten Kleinschmidt. „Wenn ein Film allerdings schlecht ist, fallen einem alle Mängel auf.“

Eine große, faszinierende Kirmes
Deutsche Filme haben sich in diesem Jahr in Cannes, wo sich das Weltkino trifft und Filme nicht nur gezeigt, sondern auch gehandelt und verkauft werden, keine Rolle gespielt. Das ganze Festival und die Stimmung in der Stadt haben bei Thorsten Kleinschmidt den Eindruck einer großen, faszinierenden Kirmes hinterlassen. Sein Fazit nach zehn Tagen am Mittelmeer fällt dann auch sehr positiv aus. „Ich würde es definitiv noch einmal machen. Die Juryarbeit war eine spannende Erfahrung, wenn es auch manchmal anstrengend ist, so viele Filme auf einmal zu sehen“, meint Thorsten Kleinschmidt. „Aber um die Filme geht es natürlich, deswegen war ich da.“
Für die Preisverleihung der Goldenen Palme hat er keine Karte bekommen. Angesichts von 12.000 akkreditierten Festivalbesuchern war das auch nicht zu erwarten. So verfolgte Thorsten Kleinschmidt die Übertragung im Pressezentrum des Festivals. Das hatte den Vorteil, dass er die Sieger anschließend noch einmal leibhaftig zu Gesicht bekam, als diese zur Pressekonferenz erschienen. In den kommenden Wochen und Monaten wird der eine oder andere Film, den er sich in Cannes angeschaut hat, sicher auch im Brühler ZOOM Kino auf die Leinwand kommen. Im Juni bleibt das Kino allerdings geschlossen. Es öffnet dann im Juli wieder, im August steht das großen Open Air an.

Tobias Gonscherowski