„Eintauchen in eine Art surreale Wunderkammer”

Das Max Ernst Museum Brühl des LVR zeigt noch bis zum 26. August die Ausstellung „Robert Wilson – The Hat Makes The Man“, die in exklusiver Zusammenarbeit mit dem Künstler Robert Wilson, seinem Studio (RW Work) und dem Watermill Center entstanden ist. Wir haben uns mit Irmgard Schifferdecker, die im Max Ernst Museum seit 2012 für die Abteilung Kunstvermittlung verantwortlich ist, über die Ausstellung und ihre Aufgaben unterhalten.

Von Tobias Gonscherowski

BBB: Frau Schifferdecker, was erwartet die Besucher der Robert Wilson Ausstellung? Worauf können sie sich freuen?
Irmgard Schifferdecker: Die Ausstellung präsentiert über 400 Werke aus der Sammlung des international bedeutenden Theaterregisseurs, Designers und Licht- und Videokünstlers Robert Wilson. Seine Inszenierungen, in denen das Licht, Musik und Kostüme eine wesentliche Rolle spielen, sind spektakulär und konfrontieren die Zuschauer mit neuen Sehgewohnheiten. Und so ist auch unsere Ausstellung, die speziell für das Museum von Robert Wilson und seinem Team konzipiert wurde, sehr außergewöhnlich und konfrontiert unsere Museumsgäste neben den Ausstellungstücken mit einer Licht- und Soundinstallation. Erstmals für unser Haus ist der Ausstellungsraum nicht wie sonst üblich hell und licht, sondern abgedunkelt und der Boden mit dunklem Teppich ausgestattet. Licht spielt daher eine besondere Rolle, es setzt die einzelnen Sammlungsstücke regelrecht in Szene. Die Museumsgäste betreten die Ausstellungsräume und tauchen ein in eine Art surreale Kunst- und Wunderkammer. Gezeigt werden 400 Sammlungsstücke von Wilson und umfassen Kultobjekte von Naturvölkern, Masken aus Neuguinea und Afrika, mit ihrem ganz besonderen archaischen Potenzial, Kunstwerke, Kuriositäten, wie etwa die Auftrittsschuhe von Marlene Dietrich, aber auch Requisiten aus Inszenierungen und Fundstücke von Flohmärkten. Diese Objets trouvés werden spannungsreich gegenübergestellt, so etwa alte Kinderschuhe einem wunderbaren Werk von Magritte. Hierdurch ist viel Spielraum für unterschiedliche Assoziationen gegeben. Die Ausstellung ist also inhaltlich wie atmosphärisch sehr faszinierend.

BBB: Was verbindet den Künstler mit Max Ernst?
Schifferdecker: Wilson und Max Ernst verbindet eine persönliche wie eine spirituelle Beziehung. 1971 wurde das Stück „Deafman Glance“ („Der Blick des Gehörlosen“), eine stumme, bildgewaltige Oper mit einer Dauer von sieben Stunden aufgeführt, in der der Fokus ganz auf Körperbewegung, Mimik und Gestischem lag. Max Ernst besuchte diese Opernaufführung und war begeistert. Hierbei kam es zu einer persönlichen Begegnung zwischen Robert Wilson und dem Künstler, und beide spürten wohl, dass ihre künstlerischen Vorstellungen, ihr Blick auf die Welt und die Möglichkeit, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten, sich sehr ähneln. Beide finden in den Objekten der Naturvölker, bei Max Ernst waren es die Hoopi-Indiander mit ihren Masken, ihren Totems und Katchina-Puppen, Inspirationsquellen für ihre eigenen künstlerischen Arbeiten. Max Ernst verfremdete Dinge, indem er sie nach dem surrealistischen Prinzip mit gänzlich Andersartigem kombinierte, in einen anderen Kontext setzt. Dieses Prinzip der surrealistischen Kombinatorik finden wir hier in dieser Ausstellung auch. Und nicht zuletzt ist das Motiv des Vogels für beide Künstler von enormer Bedeutung. Der Vogel ermöglicht einen Perspektivwechsel und zeichnet sich durch die Freiheit aus, über allem zu schweben. Max Ernst ging sogar soweit, dass er den Vogel als sein Alter Ego bezeichnete.



BBB: Wie umfangreich ist das Programm rund um die Ausstellung? Welche Aktivitäten der Kunstvermittlung wird es geben?
Schifferdecker: Zur Ausstellung haben wir ein vielfältiges Rahmenprogramm. Das beginnt mit einem theaterpädagogischen Projekt für Schulen, das wir dank der Förderung durch die Provinzial Kulturstiftung den Schulen kostenlos anbieten können. Dabei steht der Körper als Ausdrucksmittel im Vordergrund. In Anlehnung an die Commedia dell’arte können Schülerinnen und Schüler mit selbstgestalteten großformatigen Masken in szenischen Improvisationen bestimmte Charakteren und Figurentypen darstellen. Hier arbeiten wir mit der theaterpädagogischen Abteilung der Bühnen der Stadt Köln zusammen. Wir sind sehr gespannt darauf.
Ein besonderes Highlight ist sicherlich auch das Konzert „Wilson’s Visons” am 23. Juni. Dabei werden Lieder und Instrumentalstücke aus Produktionen wie „The Black Rider“, „Der Sandmann“ oder „Woyzek“ von Musikern aus dem Musikerensemble der derzeitigen Wilson-Inszenierung in Düsseldorf gespielt. Mit dabei ist auch die Theremin-Spielerin Lydia Kavina. Dieses Konzert wird also ein ganz besonderes Musik- und Hörerlebnis. Und zur Finissage am 25. August bieten wir eine tolle Abendveranstaltung mit Loungecharakter: mit einem letzten Blick auf die wunderbare Ausstellung, mit DJ, cooler Musik, Snacks und Getränken verspricht es ein chilliger Sommerabend zu werden.

BBB: Wie sieht Ihr Aufgabengebiet im Max Ernst Museum des LVR aus?
Schifferdecker: Ich bin als Kunsthistorikerin für die Kunstvermittlung im Museum zuständig. Die Kunstvermittlung fungiert als Schnittstelle zwischen Museum und Publikum. Damit das Museum nicht ein Dasein im Elfenbeinturm fristet, muss es sich öffnen und kommunikativ werden. Die Kunstvermittlung hat daher das Ziel, die Faszination des Museums und seiner Kunst für ein breites Publikum erfahrbar zu machen. Und hierzu gilt es, Angebote und Formate zu entwickeln für jede gesellschaftliche Gruppe, für alle Generationen. Das beginnt mit der Baby-Kunstpause, in der junge Erziehende mit ihrem Baby unter Gleichgesinnten in lockerer Atmosphäre zu bestimmten Themen einen Rundgang durchs Museum machen können und setzt sich fort über den Süßen Kunstgenuss für Kunstinteressierte, ältere Erwachsene bis hin zu unseren Angeboten für Menschen mit Demenz. Im Fantasie Labor, den großzügig eingerichteten, barrierefreien Werkräumen im Geburtshaus von Max Ernst, werden für Schulen, Kitas wie private Gruppen unterschiedliche Workshops durchgeführt. Kunst durch eigenes kreatives Gestalten und Experimentieren zu erfahren, verdeutlicht nochmals die Techniken von Max Ernst, regt die Fantasie an und macht vor allem viel Spaß. Das Angebotsspektrum reicht hier von Geburtstagsworkshops für Kinder und Erwachsene, Technikkursen für Jugendliche und Erwachsene, inklusiven Workshops für Gehörlose und Hörende und Familien.
Damit das Museum auch für Familien attraktiv wird, bieten wir im Museum die sonntäglich stattfindende offene Kinderwerkstatt an, den Museumskoffer sowie die neu eingerichtete Kinderecke mit vielen Möglichkeiten, sich kreativ auszutoben. Sie sehen, die Kunstvermittlung ist sehr komplex.

BBB: Wie bringen Sie sich selbst ein? Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Schifferdecker: Ein wichtiges Anliegen ist die Vermittlungsarbeit für Kitas und Schulen. Wir möchten Kinder und Jugendliche schon früh für das Museum und die Kunst sensibilisieren. Hier haben wir ein breites Themenspektrum entwickelt, um die Kunst von Max Ernst und seine Techniken zu vermitteln. Damit liefern wir einen wichtigen Beitrag zur kulturellen und ästhetischen Bildung. Derzeit sind Max Ernst und seine Techniken Teil des Abiturthemas, da ist ein Besuch vor Originalen meines Erachtens unverzichtbar. Damit das Museum als außerschulischer Lernort aber auch spannend wird, arbeiten wir nicht nur dialogisch und bieten kunsthistorische Informationen, sondern wir arbeiten auch interaktiv und suchen nach anderen Zugänge zur Kunst, wodurch die Aufmerksamkeit gesteigert wird. Dabei arbeiten wir durchaus auch mit digitalen Medien, wie z.B. die Miró-App oder wie jetzt mit theaterpädagogischen Elementen. Der Museumsbesuch sollte den Kindern und Jugendlichen Spaß machen. Besonders wichtig sind mir aber auch unsere Angebote für Menschen mit Demenz, die wir sowohl für Senioreneinrichtungen als auch in Zusammenarbeit mit der Alzheimer Gesellschaft Brühl e.V. Aufwind als offene Angebote anbieten.
Fotos: Lucie Jansch