"Ich habe den Plan, keinen Plan für die Zukunft zu haben“
Am 31. Oktober endet die Amtszeit des Brühler Bürgermeisters Dieter Freytag. Seit dem Jahr 2014 ist er im Amt. Im November des vergangenen Jahres gab der inzwischen 70-Jährige bekannt, dass er bei der Kommunalwahl in diesem Herbst nicht wieder kandidieren würde. Der verheiratete Vater von sechs Kindern wurde mit 24 Jahren 1979 erstmals in den Rat der Stadt Brühl gewählt, fungierte später als Kämmerer und seit elf Jahren als Bürgermeister. Der Brühler Bilderbogen traf den beliebten Politiker zum persönlichen Gespräch und zu einem Rückblick auf sein Wirken.
So langsam wird es für Dieter Freytag Zeit, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, bald nicht mehr als Bürgermeister im Mittelpunkt zu stehen. Mit „einer Mischung aus Wehmut, Vorfreude und Erleichterung“, wie er sagt, wird er Ende des Monats aus dem Amt scheiden. 46 Jahre lang hat er dann in verschiedenen Positionen das Wohl der Schlossstadt begleitet. 1979 wurde er als SPD-Kandidat mit Wahlkreis Thüringer Platz erstmals in den Rat der Stadt Brühl gewählt. Später wurde er Kämmerer. Im Jahr 2009 trat er für die SPD bei der Bürgermeisterwahl gegen Amtsinhaber Michael Kreuzberg an und verlor deutlich. 2014 und 2020 setzte er sich ebenso klar gegen seine Mitbewerber durch. Jetzt ist bald Schluss.
„Ich bin in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. So viel Spaß die Ausübung dieses Amtes mit sich bringt, es ist doch eine starke Belastung“, sagt Dieter Freytag. „Seit 46 Jahren bin ich dabei. Ich denke, es ist an der Zeit, dass mal andere ran müssen, neue Ideen mitbringen und ihre eigenen Erfahrungen machen.“
Vermissen wird er die Mitarbeiterinnen seines Vorzimmers, seine persönlichen Referentinnen und das Bürgermeisterbüro, „eine sehr eingespielte, engagierte Truppe“. Vermissen wird er auch die schönen Seiten des Jobs, die Ehrungen, persönlichen Begegnungen und vieles mehr. „Zum anderen ist das Bürgermeisteramt aber auch eine „Last“, die mir genommen wird. Ich bin letztendlich derjenige, der qua Amt für das Geschehen in der Stadt verantwortlich ist. Das ist der Punkt, bei dem ich am meisten froh sein werde, dass ich den abgeben kann“, meint Dieter Freytag.
Zudem ist der Beruf auch sehr zeitintensiv. „Man kann davon ausgehen, dass eine 70-Stunden-Woche zusammenkommt“, weiß der Bürgermeister. „Ein 12-Stunden-Tag ist eher die Regel als die Ausnahme. Dann bin ich von Montag bis Freitag schon bei 60 Stunden. Und dann kommen noch die Termine am Wochenende dazu.“ Ausstellungseröffnungen, Sommerfeste und Konzerte. „Hin und wieder wird erwartet, dass der Bürgermeister auch vorbei kommt“, lacht er. „Mir haben der Kontakt zu und der Dialog mit den Menschen immer sehr viel Spaß gemacht. Das ist in einer Stadt der Größenordnung von Brühl ungemein wichtig.“
Wenn man Dieter Freytag nach Begegnungen fragt, die ihn persönlich tief bewegt haben, fällt ihm vor allem der Besuch von Georg Zwi Rejzewski im Jahr 2018 ein. „Er wurde in Zusammenhang der Reichspogromnacht 1938 vertrieben und ist später immer wieder nach Brühl gekommen - zumeist zum Archiv. Er hat nach Dokumenten gesucht und seine Familiengeschichte aufgearbeitet.“ Anlässlich seines 90. Geburtstag lud ihn die Stadt ein, sich ins Goldene Buch der Stadt Brühl einzutragen. „Ich war sehr beeindruckt von seiner Haltung, die nicht geprägt war von Hass und Unmut, über das, was ihm angetan wurde. Er hat eine Geste der Aussöhnung und des Friedens gezeigt. Das fand ich sehr beeindruckend.“
Die erste Amtszeit von Dieter Freytag in den Jahren 2014 bis 2020 verlief noch „fast normal“. Die Herausforderung durch die Flüchtlingswelle von 2015 konnte gemeistert werden und brachte „viele positive Aspekte“ hervor. „Ich darf daran erinnern, dass sich über 200 Menschen in Brühl spontan dazu bereit erklärt haben, diese Menschen zu unterstützen und zu betreuen“, erinnert sich der Bürgermeister. „Davon sind nach wie vor 100 über einen Zeitraum von zehn Jahren aktiv. Ich finde das sehr beeindruckend.“
In der zweiten Amtszeit ab 2020 waren dagegen etliche Herausforderungen zu meistern. Es fing noch relativ harmlos im Frühjahr 2020 mit einem Sturm am Karnevalssonntag an, der die Durchführung des Närrischen Elias gefährdete. Doch anders als in Köln, wo die Schull- un Veedelszöch abgesagt wurden, gab Dieter Freytag grünes Licht: „Wir haben den Zug etwas vorgezogen und laufen lassen mit der Vorgabe: so schnell wie möglich.“ Es ging gut, auch wenn einige Jecke, die zur üblichen Zeit kamen, „verdutzt feststellten, dass der Zug schon durch war“.
Zwei Wochen später brach Corona aus. „Da ging es richtig zur Sache“, sagt Dieter Freytag. „Ich will daran erinnern, dass in den ersten beiden Monaten April und Mai in Brühl über 50 Personen im Alter von 80 Jahren und älter mit der Diagnose Corona gestorben sind. Ob Corona ursächlich dafür war, wissen wir nicht. Das prägte das Handeln, zumal es noch keinen Impfstoff gab.“
Ein Jahr später folgte die Flutkatastrophe, die auch in Brühl Auswirkungen hatte. Der Schaden im öffentlichen Bereich ging in die Millionen. „Sämtliche Regenüberlaufbecken und die gesamte Technik standen unter Wasser. Sehr stark betroffen war die Martin-Luther-Schule“, berichtet der 70-Jährige. „Aber in Relation zu dem, was in der Nachbarstadt Erftstadt oder im Ahrtal passiert ist, war das ein geringes Ausmaß. Wir sind noch glimpflich davon gekommen. Es war eine Herausforderung, die zeigte, dass wir Lücken in unserem Katastrophenschutzsystem haben.“
Aktuell kämpft Brühl vor allem mit finanziellen Problemen. Eine Haushaltssperre wurde verhängt. Nach der Wahl wird der neue Bürgermeister einen Kassensturz machen und einen Haushalt aufstellen müssen. „Die finanzielle Situation der Stadt ist alles andere als auf Rosen gebettet. Ich habe das erst als Kämmerer und dann als Bürgermeister verantwortlich seit Jahrzehnten verfolgt“, sagt Freytag. „So schwierige Zeiten hatten wir schon einmal Ende der neunziger und in den nuller Jahren. Die letzten zehn Jahre sind vergleichsweise gut gelaufen, bedingt durch eine gute Konjunktur und Steuererträge. Aber im Moment sieht es ganz, ganz schlecht aus.“
Dafür sei aber nicht die Stadtverwaltung Schuld, denn in dieser Situation befänden sich die meisten Städte und Kommunen im Land. Die Stadt müsse mit gestiegenen Kosten u.a. im sozialen Bereich und allgemein weniger Einnahmen zurecht kommen. Die Problematik müsse bundesweit gelöst werden. „Mit meinem Kämmerer habe ich noch ein Instrument ausgearbeitet, ein so genanntes Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren in Verbindung mit den Stadtwerken, dass dem städtischen Haushalt für zwei bis drei Jahre Luft gibt. Mal gucken, wie es danach aussieht“, erklärt Dieter Freytag.
Positiv bewertet der Bürgermeister das Gesamtbild von Brühl. „Die Aufenthaltsqualität in Brühl ist hoch. Das Leben in unserer Stadtgesellschaft empfinde ich als sehr bereichernd. Im Vergleich zu anderen Städten des Rhein-Erft-Kreises stelle ich fest, dass wir als Stadt sehr positiv ankommen. Bedingt durch das Phantasialand und den Welterbestätten haben wir mit 40 Prozent den höchsten Anteil an Touristen im Rhein-Erft-Kreis. In Zahlen sind das etwa 600.000 Übernachtungen. Interessanterweise stellt man immer wieder fest, dass Leute, die von außen kommen, und Leute, die neu hinzugezogen sind, Brühl sehr positiv wahrnehmen.“
Am 31. Oktober wird nun für Dieter Freytag der letzte Tag als Bürgermeister sein. Konkrete Pläne für die Zeit danach hat er nicht. „Ich habe den Plan, keinen Plan zu haben. Ich lasse vieles auf mich zukommen“, sagt er. Mehr Aktivitäten in Vereinen, Vorträge halten, viel Spaß am Karneval haben, Freundschaften pflegen und vor allem für die Familie da sein. Das hat er sich dann doch vorgenommen. Der Brühler Bilderbogen wünscht ihm dafür alles Gute.
Tobias Gonscherowski