„Jungs gehen zur Sache, mit Mädchen muss man diskutieren”

Seit ein paar Tagen rollt in Österreich und in der Schweiz der Fußball bei der EM 2008. Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einer starken Leistung beim 2:0-Sieg gegen Polen in das Turnier gestartet und hat die Nation wieder in einen kollektiven Freudentaumel versetzt. Das ganze Land verfolgt die Spiele voller Enthusiasmus vor den großen und kleinen Bildschirmen und drückt der Truppe von Bundestrainer Jogi Löw die Daumen. Fußball ist spätestens seit dem Sommermärchen 2006 wieder in. Die Nationalmannschaft hat ein äußerst positives Image, nicht nur die der Männer, sondern auch die der Frauen, die zuletzt zweimal hintereinander Weltmeister wurde.

Doch was passiert eigentlich, wenn ein solches Großereignis vorbei ist? Profitieren auch die Fußballvereine in Brühl vom Boom? Können sich die Clubs vor Anmeldungen nicht mehr retten? Wir haben uns mit den Verantwortlichen getroffen, mit Dietrich Schmidt, dem Geschäftsführer der Jugendabteilung des SC Renault Brühl, und seinen Mitstreitern Birgit und Thomas Hoffmann, sowie mit Andreas Hans, dem 1. Vorsitzenden des 1. FSV (Frauensportverein) Brühl und mit ihnen über den Jugendfußball in Brühl gesprochen.

„Die Zahl der Neuanmeldungen ist bei uns in den Jahren, in denen großen Turniere wie Welt- oder Europameisterschaften stattfinden, schon größer als in anderen. Wir haben dann Anmeldungen ohne Ende“, berichtet Dietrich Schmidt von seinen Erfahrungen beim SC Renault. „Die Jungs spielen bei uns Fußball, um Fußball zu spielen. Sie kommen wegen des Spiels.“ Bei den Mädchen ist das anders. „Mädchen kommen wegen der Freundinnen, die spielen“, weiß Andreas Hans. „Sie wollen zusammen ihre Freizeit verbringen. Deshalb kommt es häufiger vor, dass ein Neuzugang gleich eine Freundin mitbringt. Der Fußball ist nicht das Wichtigste. Uns bringt eine EM nicht so viele neue Mitglieder.“


Der Zusammenhalt ist groß

Andreas Hans ist seit Beginn diesen Jahres der neue 1. Vorsitzende des FSV Brühl, bei dem ausschließlich Mädchen kicken. 43 Mitglieder zählt der Verein, der mit zwei Mannschaften, einer D- und einer B-Jugend, am Spielbetrieb im Kreis Düren teilnimmt. „Im Rhein-Erft-Kreis gibt es keine Gegner. Deshalb müssen wir nach Düren ausweichen“, erklärt Andreas Hans. Auch der FSV hat Mühe, die Mannschaften zu melden. In der D-Jugend sind einige Mädels aktiv, die noch in der E- oder F-Jugend spielberechtigt wären. Gleiches gilt für die B-Jugend. Das Fehlen der C-Jugend macht sich bemerkbar. Trotzdem lassen einige Erfolge des Vereins aufhorchen, so der erst kürzlich errungene Sieg bei einem Turnier in Lützenkirchen. Der Zusammenhalt der Jugendlichen ist sehr groß. „Wir haben Spielerinnen, die aufgrund ihres Könnens eigentlich bei Clubs mit größeren sportlichen Ambitionen kicken könnten“, erzählt Andreas Hans. „Aber sie wollen Brühl nicht verlassen, weil hier ihre Freundinnen spielen.“

Bei den Jungen ist dieser Zusammenhalt nicht so ausgeprägt. Sie wechseln schon mal öfter den Verein. „Ab einem bestimmten Alter wird es komplizierter“, sagt Dietrich Schmidt. Der 51-jährige Verwaltungsbeamte übernahm vor einem Jahr als Geschäftsführer die Jugendabteilung des SC Renault. Der ehemalige rechte Außenverteidiger von Grün-Weiß Brauweiler verfolgt den Jugendfußball seit vielen Jahren. „Ab einem bestimmten Alter brechen uns viele Jugendliche weg. Wenn sie in die Pubertät kommen, wenn die erste Freundin da ist, wenn es in der Schule ernst wird, dann hören viele mit dem Fußball wieder auf. In der C- und B-Jugend wird es auch langsam sportlich ernst. Es geht in den Leistungsbereich. Vorher hatten die Jungs noch Spaß an der Bewegung und am Spiel. Ab der B-Jugend geht es mehr auf die Knochen.“

Die Jungen gehen auch mit einer anderen Motivation an den Vereinsfußball heran. „Die meisten träumen davon, einmal Bundesligaspieler zu werden“, weiß der stellvertretende Jugendleiter Thomas Hoffmann. „Die Mädchen können sich das gar nicht vorstellen. Die sind leider bei uns nicht so ehrgeizig, obwohl bei einigen sicherlich großes Talent vorhanden ist“, ergänzt Andreas Hans.

Andreas Hans, übrigens der Sohn des ehemaligen Brühler Bürgermeisters Wilbert Hans, kennt beide Seiten des Jugendfußballs. Seine Tochter Sabrina jagt beim FSV auf dem Sportplatz in Brühl-Vochem dem runden Leder hinterher, sein Sohn Sebastian stürmt für den SC Renault. Der 47-Jährige begann selbst als Trainer beim FSV, obwohl er anfangs dem Frauenfußball skeptisch gegenüber stand. „Früher habe ich gedacht, Frauenfußball um Gottes Willen. Aber es hat sich sehr positiv entwickelt. Als Trainer habe ich festgestellt, dass Mädchen sich mehr anfrotzeln. Die Jungs knüppeln rein und gehen aggressiv zur Sache. Die Mädels sind tatsächlich zickiger. Es ist schwierig, da Disziplin rein zu bekommen. Man muss mit ihnen diskutieren und aufpassen, weil sie schnell beleidigt sind.“


Sprung zu Proficlubs sehr schwer

Oft kommen Mädchen zum FSV, die noch nie gegen einen Ball getreten haben. Denen muss Andreas Hans erst einmal das kleine Einmaleins beibringen: Bewegungsabläufe, Passspiel, Regelkunde. „Aber dann machen sie auch schnell Fortschritte“, freut sich der Vereinschef. „Mädchen können noch mit 14 oder 15 mit dem Fußball anfangen und bei etwas Talent noch in der Mannschaft integriert werden. Bei den Jungen ist in dem Alter der Zug längst abgefahren. Wer in dem Alter erst anfängt, schafft es im Verein nicht mehr.“

Bei Renault Brühl stehen schon bei den C-Jugend-Spielen die ersten Scouts der großen Vereine aus Köln am Spielfeldrand. „Den Sprung zu den Proficlubs schaffen aber nur wenige, leider. Bei uns ist ja sogar der Wechsel von der A-Jugend in die Erste Mannschaft, die gerade in die Verbandsliga aufgestiegen ist, sehr schwer. In den letzten Jahren ist das nur wenigen Jungs gelungen“, sagt Dietrich Schmidt.

Der Verein ist dennoch stolz auf die gute Jugendarbeit der zahllosen vielfach ehrenamtlichen Helfer und Trainer. Die Bambinis freuten sich in der abgelaufenen Saison über den Gewinn der Hallenkreismeisterschaft, die A-Jugend belegte Platz 2 in der Sonderstaffel, der höchsten Spielklasse im Kreis. Auch einige Jugendlichen selbst engagieren sich über ihre Teams hinaus. Drei A-Jugendliche lassen sich auch dank der Hilfe des Max-Ernst-Gymnasiums zum Trainer ausbilden. Sie können dann später an Schulen in der Nachmittagsbetreuung mitarbeiten. Allein mit Ehrenamtlichen ist die Jugendarbeit allerdings nicht zu finanzieren. Eine ganze Menge Geld fließt in die Jugendabteilungen, die täglich in Brühl-Süd auf dem ehemaligen Hockeyplatz oder auf dem Ascheplatz im Schlossparkstadion trainieren. „Die Mitgliedsbeiträge reichen nicht aus, Sponsoren sind deshalb immer willkommen“, sagt Kassenwartin Birgit Hoffmann.

Der Ligaspielbetrieb der Jugendfußballer ist für diese Saison beendet. Der FSV Brühl bricht jedoch noch zur großen Abschlussfahrt mit der B-Jugend zu einem Turnier in Crailsheim auf. Überhaupt unternehmen die Fußballerinnen viel gemeinsam. Auch im Vochemer Karnevalszug sind sie dabei. Trainiert wird von Montag bis Mittwoch von 18 bis 20 Uhr. Und wer weiß, vielleicht kickt ja bereits jetzt ein Talent in Brühl, das im Jahr 2020 für Deutschland auf Torejagd geht.