(tg) „Aktuelle Studien besagen, dass jedes vierte Grundschulkind in Deutschland nicht ausreichend lesen kann“, sagt Maria Wächter, die Vorsitzende des Kinderschutzbundes Brühl. Das will sie mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern ändern. Deshalb riefen sie im vergangenen Jahr das Projekt „Lesementor Brühl“ ins Leben. Die Resonanz auf den ersten Aufruf nach ehrenamtlichen Helfern war überwältigend.


Inzwischen engagieren sich 55 Lesementorinnen und -mentoren. Doch es gibt noch viel mehr Bedarf an Leselernhelfern. Im Gespräch mit dem Brühler Bilderbogen berichten Barbara Habets, Verbindungsperson zwischen DKSB und Mentor, Lesementor Thomas Sett, der Vorsitzende der Bürgerstiftung Brühl, Dr. Bernd Boecken sowie Uta Wente aus dem Orga-Team des Projekts von ihren Erfahrungen.

BBB: Frau Wente, bitte stellen Sie doch unseren Lesern einmal die Idee und das Konzept der Leselernhelfer vor?
Uta Wente: Diese Form der Leseförderung geht auf eine Initiative des Kinderschutzbundes zurück. Wir sind der Überzeugung, dass eine erfolgreiche Leseförderung bester Kinderschutz ist. Sie fördert die Fantasie und Selbständigkeit der Kinder. Die Leselernhelfer, die Mentoren unseres Projektes, setzen sich für die Leseförderung von Kindern und Jugendlichen ein. Der Erfolg der auf einen Zeitraum von etwa einem Jahr angelegten Förderphilosophie basiert auf drei Säulen. Zum einen das 1:1-Betreuungsprinzip. Ein Mentor betreut dabei in der Schule ein Kind, ein bis zweimal pro Woche für jeweils eine Schulstunde. Er liest gemeinsam mit dem Kind altersgerechte Texte jeglicher Art. Auch Wünsche der Kinder werden berücksichtigt, damit alle Beteiligten Spaß haben. So entsteht die vertrauensvolle Bindung zwischen Mentor und Kind. Wir sprechen dann von Bildung durch Bindung. Die Leseförderung geschieht in einer entspannten Lernatmosphäre, da der Mentor nicht der Lehrer ist und es keinen Notendruck gibt. Wir setzen auf Humor und Geduld statt Leistungsdruck.
Die Mentoren steigen ab dem 2. Schuljahr ein. An dem Projekt beteiligen sich neun Brühler Schulen, darunter alle Grundschulen sowie die Clemens August Schule und die Pestalozzi Schule. Die Leseförderung findet in den Schulen während der Schulzeiten und auch teilweise während des Unterrichts statt.

BBB: Welche Eigenschaften müssen neue Kandidaten mitbringen, die Mentor werden wollen, Frau Habets?
Barbara Habets: Die Mentoren müssen natürlich selbst Lesefreude mitbringen, eine Empathie für Kinder haben und auf sie mit Geduld und Humor eingehen können. Sie müssen Zeit mitbringen, daher ist das Projekt ideal für Ruheständler geeignet. Eine formelle Voraussetzung ist die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. Und die Kandidaten müssen gegen Masern geimpft sein. Sie erhalten vor dem Start eine verpflichtende Schulung durch erfahrene Mentor-Referenten. Unser Ziel ist, die Freude am Lesen zu wecken und dadurch die Lese- und Sprachkompetenz der Kinder zu fördern. Lesementoring ist aber keine Hausaufgaben- oder Nachhilfe.

BBB: Herr Sett, welche Erfahrungen haben Sie als Lesementor gemacht?
Thomas Sett: Ich betreue aktuell zwei Lesekinder in der Regenbogenschule. Einen acht Jahre alten Jungen und ein Mädchen mit Migrationshintergrund. Meine Erfahrungen sind sehr positiv. Ich glaube, dass die Kinder selbstsicherer geworden sind und Fortschritte machen. Ein gutes Lernmittel ist die „Kunterbunte Kinderzeitung“, die wöchentlich erscheint. Darin gibt es neben Lesetexten auch Rätsel, die mit der richtigen Beantwortung von Fragen gelöst werden können. Das ist ein schöner Anreiz für die Kinder. Ich lese auch gerne aus dem Buch „Schule der magischen Tiere“ vor und lasse die Kinder dann lesen. Manchmal spielen wir auch ein Quartett. Man muss den Kindern auch einen Freiraum geben, ein gutes Verhältnis entwickeln und positives Feedback geben. Die Kinder genießen die Zuwendung. Mir ist der geschützte Raum der Schule sehr wichtig. Der Vorteil liegt darin, dass das Kind in vertrauter Umgebung bleibt, aber mit einer einzelnen Person lernt. So werden gleichzeitig Nähe und Distanz erreicht.

BBB: Herr Dr. Boecken, Sie sind Vorsitzender der Bürgerstiftung Brühl. Welche Ziele verfolgt sie und warum unterstützen Sie das Lesenmentoren-Projekt?
Dr. Bernd Boecken: Die „Bürgerstiftung Brühl - Gemeinsam für unsere Kinder“ wurde 2018 gegründet. Es gab ähnliche Bürgerstiftungen zuvor bereits in Bornheim und Hürth. Die Bürgerstiftung engagiert sich in den Bereichen Leseförderung, Nachhilfe und Gewaltprävention. Wir unterstützen Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahre. Wir übernehmen Kinderpatenschaften, wir unterstützen Ferienprogramme wie die des Klasse Treff in Vochem, die ein sehr gutes Programm machen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass zumindest drei der 40 Kinderspielplätze in Brühl auch behindertengerechte Spielgeräte haben. Dank einer Erbschaft zugunsten der Stiftung verfügen wir über einiges an Kapital.
Ich war selbst Lesepate und hatte viel Spaß dabei. Es gibt genügend freiwillige Helfer, die viele Aufgaben übernehmen, die die Schule einfach nicht mehr leisten kann. Das müssen dann Externe bewältigen.

BBB: Wann bietet sich interessierten Menschen die nächste Gelegenheit, Lesementor zu werden Frau Wente?
Uta Wente: Die nächste Qualifizierung findet am 26. Januar 2024 im Clemens August Forum statt. Sie dauert vier Stunden. Unser Ziel sind mittelfristig 90 bis 100 Mentoren. Denn es gibt einen großen Bedarf an den Schulen. Aktuell gibt es 55 Lesementoren in Brühl für Kinder im Alter zwischen sechs bis 16 Jahren. Die Mentoren treffen sich häufiger zum Erfahrungsaustausch. Wir kooperieren mit der Stadtbücherei und der Buchhandlung Brockmann und wollen die Kooperationen gerne noch ausweiten. Wir sind stolz darauf, dass der Bundesverband Lesementoren durch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ausgezeichnet wurde. Schirmherr in Brühl ist übrigens Bürgermeister Dieter Freytag.