Jahrgang 2021
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Vor genau 1.700 Jahren – im Jahr 321 – wurde die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Köln erstmals urkundlich bestätigt. Kaiser Konstantin gestattete damals durch ein Edikt die Berufung von Juden in Ämter der Stadtverwaltung von Köln.

Dieses Jubiäum ist Anlass für die „Jüdischen Kulturwochen” im Rhein-Erft-Kreis, die in Brühl mit zahlreichen Veranstaltungen vom 22. Oktober bis 9. November stattfinden. Wir haben uns mit Karin Tieke und Harry Hupp von der Brühler Initiative für Völkerverständigung (BIfV), Reiner Besse von Pax Christi und Simone Weesbach von den Brühler Jusos über das von ihnen mitinitiierte Programm unterhalten.

„Ich setze mich seit vielen Jahren in der Brühler Initiative für Völkerverständigung ein”, erzählt Karin Tieke. „In diesem Zusammenhang habe ich mich auch viel mit Themen wie Zuwanderung oder Erinnerungskultur beschäftigt. Ich habe mich mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinander gesetzt und mich gefragt, wie es dazu kommen konnte und ob es sich wiederholen könnte. Ich denke, dass es jederzeit wieder möglich wäre.” Auch deshalb engagiert sich die ehemalige Brühler Stadträtin der Grünen vehement als Sprecherin der BIfV. „Die Erinnerungsarbeit muss weitergehen, die Zeitgeschichte bewahrt werden”, sagt Karin Tieke.

Seit einigen Jahren gibt es in Brühl Stadtführungen, die die „Spuren jüdischen Lebens” in Brühl dokumentieren. Sie finden sich besonders eindrucksvoll auf dem Jüdischen Friedhof, der seit dem 13. Jahrhundert existiert. Viele Menschen, die viel Positives für Brühl bewirkt haben, haben dort ihre Grabstätte gefunden. So auch Samuel Levi, der seinerzeit den Brühler Schlachthof mitinitiiert hat, viel Geld stiftete und für die Liberale Partei im Stadtrat saß. Auch der Blick auf andere Epochen lohnt sich, nicht nur die Erinnerung an die schrecklichen Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 sollte weiter gepflegt werden, findet daher Karin Tieke.

Die überparteiliche BIfV beteiligt sich mit zwei Veranstaltungen an den Jüdischen Kulturwochen. Am 8. November berichtet ein Vortrag der Initiative um 19 Uhr in der VHS über die „Geschichte der Schweigegänge in Brühl”, die 1988 ihren Anfang nahm. Am 9. November findet dann der diesjährige Schweigegang statt, der um 19 Uhr auf dem Leamington-Spa-Platz beginnt. Der Schweigegang erinnert an die so genannte „Reichspogromnacht” des Jahres 1938, in der in ganz Deutschland und auch in Brühl jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger misshandelt und ermordet wurden, ihre Geschäfte zerstört und Synagogen in Brand gesteckt wurden. 65 Brühler Juden wurden bis Kriegsende Opfer des Nazi-Wahns.

1988 erster Schweigegang in Brühl
An dem Schweigegang nehmen neben vielen Privatpersonen auch zahlreiche Mitglieder der über 30 in der BIfV vertretenen Organisationen teil. So auch die Brühler Jusos und ihre Vorsitzende Simone Weesbach. Im Juni haben sich die politischen Brühler Jugendorganisationen auf Initiative der Julis zusammengeschlossen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Diskriminierung zu setzen. „Die Jugendlichen sind sehr sensibilisiert für das Thema”, hat Simone Weesbach festgestellt. Für sie war eine Exkursion während des Studiums nach Jerusalem und ein Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem ein prägendes Erlebnis. „Es war sehr berührend und eindrücklich”, sagt die Lehrerin, die in ihrem Unterricht auch bald eine Idee des Zentralrats der Juden in Deutschland aufgreifen will, der das Projekt „Meet a Jew” ins Leben gerufen hat. Menschen jüdischen Glaubens berichten dabei u.a. vor Schulklassen von ihrem Alltag. „Der interreligiöse Dialog ist mir sehr wichtig”, meint Simone Weesbach.

Genau um diesen Alltag eines jungen Juden in Deutschland in der heutigen Zeit geht es in dem Kurzfilm „Masel Tov Cocktail”, den die Pax Christi Gruppe am 29. Oktober per ZOOM-Veranstaltung streamt. Danach findet eine Diskussionsrunde unter den Teilnehmern statt. Die Anmeldung erfolgt über die Homepage der Katholischen Kirche in Brühl:
https://www.kkib.de/start/. „Der Film ist verstörend”, sagt Reiner Besse von Pax Christi. „Er zeigt jüdische Lebensumstände in Deutschland aus der Sicht eines 16-Jährigen.” Die neuere jüdische Kultur wird abgebildet, die Gedenkkultur kritisch gesehen.

„Wir müssen uns positionieren”
Der zweite Beitrag von Pax Christi zu den Jüdischen Kulturwochen am 5. November um 19 Uhr im Begegnungszentrum margarethaS ist ein Gespräch von Werner Höbsch mit dem Rabbiner Walter Rothschild mit dem Titel „Verantwortung als Prinzip”. Es geht um die Frage „Bin ich der Hüter meines Bruders?” und darum, was in der heutigen Zeit konkret die Wahrnehmung von Verantwortung bedeutet.

Seit er als Jugendlicher als Christ in der Katholischen Kirche sozialisiert wurde, engagiert sich Reiner Besse in vielfältiger Weise. Erst in der christlichen Arbeiterjugend, dann u.a. in der Pax Christi Gruppe, in der BIfV und in weiteren Organisationen und Hilfe- und Flüchtlingsprojekten. „Wir müssen uns positionieren”, findet der 66-Jährige.

Das tut auch Harry Hupp, der seit 2010 politisch aktiv ist, ein Jahr später der BIfV beitrat und sich später für die Verlegung weiterer Stolpersteine in Brühl stark machte. „Für die jüdische Kultur begeistere ich mich, seit ich einmal den Film Yentl von Babra Steisand gesehen habe”, sagt Harry Hupp. Besonders erfreut zeigen sich unseren älteren Gesprächspartner über das rege Interesse der jüngeren Generationen, die auch in großer Zahl etwa am Schweigegang teilnimmt. „Die Schülerinnen und Schüler haben selbst mobilisiert. Wir haben eine sehr gute Mischung unter den Teilnehmern”, freut sich Karin Tieke abschließend.


Neben den Veranstaltungen der BIfV und von Pax Christi gibt es weitere, die unter städtischer Regie laufen. So sieht das Programm der Jüdischen Kulturwochen in Brühl aus:

Freitag, 22. Oktober bis Dienstag, 9. November:
„Schalom Nachbar – Andres aber nicht fremd”
Ausstellung im Museum für Alltagsgeschichte, Kempishofstr. 10

Sonntag, 24. Oktober, 11 Uhr
„Swimmingpool am Golan“
Filmvorführung im ZOOM Kino, Uhlstraße 3

Freitag, 29. Oktober 2021, 18 Uhr
„Masel Tov Cocktail“ – Dimitrji Liebermann
Filmvorführung mit anschließendem Austausch online, Anmeldung unter www.kkib.de

Donnerstag, 4. November, 19.30 Uhr
„Rabi Rothschild”
Kabarett, Erzählungen und Lieder mit dem Berliner Rabbiner Walter Rothschild. Galerie am Schloss, Schlossstraße 25  

Freitag, 5. November, 19 Uhr
„Rabbiner Walter Rothschild im Gespräch: Verantwortung als Prinzip”
Gespräch von Werner Höbsch mit Walter Rothschild
Begegnungszentrum margaretaS, Heinrich Fetten-Platz 3

Samstag, 6. November, 11 Uhr
Stadtführung mit Anna Broich: „Schalom Brühl”
Treffpunkt Rathaus (Uhlstraße 3)

Sonntag, 7. November, 11 Uhr
Wolfgang Drösser: „Vom Leben der Juden in Brühl (bis 1933)”
Vortrag im Kapitelsaal des Rathauses, Uhlstraße 3

Sonntag, 7. November, 14:30 Uhr
Stadtführung mit Sabine Hitzmeyer-Witzke: „Rundgang zum jüdischen Leben in Brühl”
Treffpunkt Max-Ernst Brunnen (Uhlstraße 3)

Sonntag, 7. November, 15 Uhr
Stadtführung mit Anja Broich: „Der jüdische Friedhof”
Treffpunkt Jüdischer Friedhof, Schildgesstraße
(Wir bitten um Kopfbedeckung bei männlichen Teilnehmern für den jüdischen Friedhof). Zur Teilnahme ist eine Anmeldung unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! / 02232-79 345 / brühl-info erforderlich.

Montag, 8. November, 19 Uhr
„Geschichte der Schweigegänge in Brühl”
Vortrag in der VHS, An der Synagoge

Dienstag, 9. November, 19 Uhr
„Schweigegang”
Treffpunkt Franziskanerhof, Leamington-Spa-Platz

Tobias Gonscherowski

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