Jahrgang 2005
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Wer nichts zu tauschen hatte, war arm dran“


Als die deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 bedingungslos kapitulierte war der Zweite Weltkrieg für Deutschland formell beendet. Brühl war da schon lange in amerikanischer Hand. Neun Wochen zuvor hatten die Amerikaner die Schlossstadt eingenommen. Im Gespräch mit dem Brühler Bilderbogen erinnern sich Maria und Josef Große-Allermann an die schwere Zeit.




Obwohl inzwischen 60 Jahre vergangen sind, kann Maria Große-Allermann die Bilder nicht vergessen. Ich träume heute noch manchmal von den Angriffen. Ich sehe die Trümmer und höre die Schreie der verletzten Menschen. Es war grauenhaft.“ Die letzten Kriegsmonate 1944/45 haben sich in ihr Gedächtnis gebrannt.


Maria Große-Allermann hieß damals noch Maria Roggendorf. Sie war 22 Jahre alt, wohnte in der Uhlstraße und arbeitete in der elterlichen Samenhandlung im Haus gegenüber, als am Morgen des 28. Dezember 1944 das verheerendste Luftbombardement Brühls begann. Der Himmel war sehr bedeckt. Gegen Vormittag gab es Großalarm. Erst war es totenstill, aber gegen 13 Uhr hörten wir dann das Grollen und Donnern. Es war aber nicht wie sonst, wenn die Flieger nach Köln weiterzogen. Diesmal hatten sie Brühl ins Visier genommen“, sagt Maria Große-Allermann. Das bedeutete größte Gefahr und ab in den Keller.


Zusammen mit einer Freundin, die zufällig zum Mittagessen da war, rannte sie in den Keller, der aus zwei größeren Räumen bestand und mit dem Nachbarhaus verbunden war. Einer der beiden Räume galt als sicherer, da er keine Fenster hatte. In letzter Sekunde erreichten sie den Keller, wo sie voller Angst ausharrten.


Es waren nur wenige Minuten, doch im dunklen Keller kamen sie einem wie Stunden vor. Dann hörten sie Geräusche aus dem Nachbarkeller. Was ist bei euch passiert?“ Nicht viel war ihnen passiert, nur die Freundin war etwas lädiert als sie bei Ausbruch des Alarms Hals über Kopf in den Keller stürzte und durch den Luftdruck der Bomben regelrecht die Treppe hinuntergeschleudert wurde.


Ganz vorsichtig trauten sie sich dann ins Freie. Dort bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Während die Straßenseite der Uhlstraße mit Rückwand zur Böninger Gasse relativ glimpflich davongekommen war, hatten die Häuser auf der Gegenseite mehrere Volltreffer abbekommen. In ihrem Elternhaus, in dem sie auch noch gewohnt hatte, schlugen drei Bomben ein. Es war total zerstört. Wer weiß, ob ich überlebt hätte, wenn ich in dem Haus gewesen wäre“, sagt Maria Große-Allermann. Eine Frau war darin ums Leben gekommen, ihr kleiner Sohn schwer verletzt worden. Sie war eine der 188 Toten, die Brühl an diesem 28. Dezember 1944 zu beklagen hatte.


Ihre Familie hat Glück im Unglück. Ihr blieb immerhin das Haus der Großeltern und die darin befindliche Samenhandlung. Trotzdem wussten alle, dass es in Brühl nicht mehr sicher war. Die Familie war vor die Wahl gestellt: trotz aller Gefahren in Brühl zu bleiben oder sich nach Mitteldeutschland evakuieren zu lassen. Sie blieben in Brühl, denn ihnen war klar, dass der Krieg verloren und es nirgendwo sicher war.

Dienst bei der Luftwaffe

Familie Große-Allermann hat Brühl dagegen verlassen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Mutter und Kinder wurden evakuiert, der Vater blieb in Brühl. Der Familie gehörte ein Gärtnereibetrieb an der Schildgesstraße. Josef Große-Allermann war gerade einmal 17 Jahre alt, als er im Juni 1944 zum Militär eingezogen wurde. Erst diente er bei der Luftwaffe in Holland, später kam er zur Infanterie und wurde an die polnische Grenze verlegt. Nach Kriegsende geriet er in Gefangenschaft, konnte aber fliehen und nach Gelegenheitsarbeiten und einer Odyssee durch Deutschland am 17. September 1945 nach Brühl zurückkehren.

Dort fand er die Gärtnerei stark beschädigt, aber noch nicht zerstört vor. Die Schäden stammten von Flaksplittern und vor allem von der Sprengung der Eisenbahnbrücke über die Kölnstraße im März, kurz vor Einnahme der Stadt durch die Amerikaner. Den Druckwellen der Explosion hatten die Gewächshäuser nicht standgehalten.


Auch Maria kam die Sprengung alles andere als gelegen. Denn die Trümmer versperrten ihr den Rückweg in die Uhlstraße. Die letzten Kriegstage hatte sie zusammen mit ihrem Vater bei Tag und Nacht im Bunker des Eisenwerks verbracht. Dort war es si-cher. Ganz im Gegensatz zur Innenstadt. Gefährlich waren die Tiefflieger, die oft das Feuer eröffneten“, berichtet sie. Die Menschen liefen über die Straßen, den Blick zum Himmel gerichtet und immer bereit sich schnellstens hinzuwerfen oder in ein Haus zu flüchten.

Erste Begegnung mit Amerikanern

Als die Amerikaner einmarschiert waren, wagten sich Maria und ihr Vater wieder aus dem Bunker. Sie wollten zurück in ihr Haus, und dabei mussten sie über die Schuttberge der gesprengten Brücke, auf denen amerikanische Soldaten Position bezogen hatten. Gehe langsam an ihnen vorbei, aber ohne sie zu beachten“, riet ihr der Vater. Sie werden nicht auf uns schießen.“ Maria tat wie ihr befohlen, alles ging gut.


Zurück in der Uhlstraße stellten sie überglücklich fest, dass das Haus noch intakt war und sogar die komplette Ware noch im Laden war. Sie stürzten sich in die Arbeit. Ungefährlich war das Leben in Brühl noch lange nicht, denn die Stadt wurde von den abgezogenen deutschen Truppen noch eine Zeit lang mit Artillerie beschossen. Mit den Besatzern kam Maria Große-Allermann nur einmal direkt in Kontakt. Zwei Soldaten hatten bei einer Durchsuchung ihres Hauses die Wehrmachtsmütze ihres Bruders gefunden. In gebrochenem Englisch gelang es ihr aber, den beiden klarzumachen, dass es nicht ihre Mütze sei und ihr Bruder nicht da sei. Die Soldaten suchten noch ein bisschen weiter, fanden in der Handtasche der Großmutter einen Rosenkranz und zogen dann ab, weil sie vielleicht glaubten, dass fromme Leute keine schlechten Menschen sind“, wie Maria Große-Allermann vermutet.


Doch die Lage begann sich ganz langsam zu normalisieren. Die Amerikaner setzten den Kaplan Wilhelm Bodden als kommissarischen Bürgermeister ein. Eine Ausgangssperre wurde verhängt, die Einwohner mussten sich registrieren lassen. Dann kam der 8. Mai und die endgültige Kapitulation Deutschlands. Wir haben es im Radio gehört und waren erleichtert“, sagt Maria Große-Allermann. Schlimm war allerdings noch der Abtransport deutscher Kriegsgefangener. Wer keinen Entlassungsschein hatte geriet in Gefangenschaft. Da waren auch einige Brühler Jungens dabei, die durch die Straße marschieren mussten, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Dann wurden sie weggefahren.“

Harte Jahre nach Kriegsende

Dieses Schicksal blieb Josef Große-Allermann erspart. Obwohl er nicht ordnungsgemäß aus der Armee entlassen wurde, gelang es ihm, sich einen Ummeldeschein zu besorgen. Nach seiner Rückkehr nach Brühl fing er direkt in der Gärtnerei an, verrichtete so lebenswichtige Arbeiten“ und durfte deshalb bleiben.


Seine spätere Frau lernte er dann im Herbst 1945 im Kirchenchor kennen. Die ersten Jahre nach Kriegsende waren hart. Wer nichts zu tauschen hatte, war arm dran“, erinnert sich Maria Große-Allermann. Dank ihrer Samenhandlung und dem eigenen Anbau von Kartoffeln und Gemüse in einem großen Garten an der Römerstraße ging es ihrer Familie vergleichsweise gut, hatten sie doch Einiges zum Handeln.


1947 heirateten Maria und Josef Große-Allermann. Das Paar bekam zwei Töchter. Die Samenhandlung wurde später verpachtet, die Gärtnerei verkauft. Josef Große-Allermann ging zur RWE und brachte es dort bis zum Betriebsführer eines Kraftwerks. Heute leben die beiden seit 58 Jahren verheirateten rüstigen Senioren in Brühl, sie haben zwei Enkel und zwei Urenkel und engagieren sich u.a. im Brühler Heimatbund, deren 1. Vorsitzender Josef Große-Allermann seit Anfang der neunziger Jahre ist. 


Tobias Gonscherowski

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