Jahrgang 2006
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In der Abiturzeitung "Aus unserm Leben an der Penne", die im März 1910 mit Abbildungen und Texten im Matrizendruck erscheint, karikiert Max Ernst unter der Überschrift "Siegesallee" über vier Seiten hin sich selbst und die Mitschüler des Abschlussjahrgangs 1910. Sein eigenes Selbstporträt als Künstler auf einer Säule mit dorischem Kapitell umgibt er auf der zweiten Seite mit zwei Denkmälern, die nicht nur hier, sondern auch in Hinsicht auf das spätere Werk eine besondere Bedeutung haben.
 
Die Darstellungen, mit denen er seine grundlegende Kritik am inflationären Denkmalskult der wilhelminischen Kaiserzeit in Szene setzt, sind gleichzeitig künstliche Präsentationswelten, die formal die Schaubühnen der Dada-Mappe "Fiat modes pereat ars" sowie die surrealistischen, als "Loplop présente" bezeichneten Staffelei-Figuren vorwegnehmen. Das Motiv des Sockels selbst, der ganz allgemein eine Figur auszeichnet und erhöht, lässt sich bis zu dem späten Gemälde "Quelques animaux dont un illettré (Einige Tiere, darunter ein ungebildetes)" von 1973 verfolgen, wo ein Postament die fehlende Bildung des dargestellten Wesens ausgleichen muss. Mit diesen beiden Denkmälern umkreist Max Ernst aber zusätzlich ein Thema, das sein künftiges Werk durchziehen wird und den Sehvorgang selbst behandelt: Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, sehen und gesehen werden.
 
Richard Löwenherz, der Name der historischen Figur, die von 1189 bis 1199 König von England war, steht als Pseudonym für den Mitabiturienten Richard Brandts, der später Bergwerksdirektor in Schlesien wurde. Mit Hämmern bewaffnet steht er auf einem ionischen Volutenpolster in drei einander zugewandten Ansichten, so dass sein Gesicht, durch einen rechtwinklig erhobenen Arm extra verdeutlicht, nicht zu sehen ist. Die seitlich wiedergegebene Notiz erläutert die Szenerie: "Richard hat sich nur unter der Bedingung in Stein hauen lassen, dass der Künstler ihn so darstellte, dass er dem Zuschauer (es könnte nämlich Lenko darunter sein) von allen Seiten gesehen den Rücken zukehrte. Trefflich ist dies dem Meister gelungen." Der im Text erwähnte Lenko ist der Lehrer Paul Lenkewitz, der die Schüler damals in den modernen Fremdsprachen Französisch und Englisch unterrichtete.
 
Drei weitere Schüler werden auf einem einfachen, querrechteckigen Postament mit einer abschließenden, leicht überragenden Standplatte präsentiert. Aufgrund der Inschrift ist die Person auf der linken Seite als Hubert Lierz zu identifizieren, der später - wie die Mitabiturienten Wilhelm Berghoff und Ewald Pflaum - den Arztberuf wählte. Der Tabakqualm, der aus seiner Tonpfeife kommt, umhüllt die Dreiergruppe so stark, dass lediglich die Augenpaare und die Beine sichtbar bleiben. In der Mitte steht Heinrich Klemmer, der wie Hans Oehmen als Oberstudiendirektor Karriere machte. Seine Augen sind zusätzlich durch einen Zwicker akzentuiert. Da eine bügellose Brille auch als Kneifer oder Klemmer bezeichnet wird, ist die Anspielung auf seinen Namen unverkennbar. Neben ihm schließt der spätere Hauptlehrer Karl Weeg die Gruppe ab. Das Augenpaar, das hier nur aus zwei Querstrichen besteht, scheint in Variation zu den anderen geschlossen zu sein. Der in Versform gehaltene Kommentar lautet:
 
"Diese 3 kann man nie sehen,
 
Weil sie in dem Rauche stehen,
 
Der aus Huberts Pfeife dringt
 
Und zum Himmel mächtig st ... eigt."
 
Dr. Jürgen Pech
 

 

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